Rezension/Kritik - Online seit 05.08.2016. Dieser Artikel wurde 11594 mal aufgerufen.

Wir sind das Volk!

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Autor: Richard Sivél
Peer Sylvester
Illustration: Richard Shako
Friedemann Bochow
Verlag: Histogame
Rezension: Michael Timpe
Spieler: 2
Dauer: 150 Minuten
Alter: ab 12 Jahren
Jahr: 2014
Bewertung: 5,0 5,0 H@LL9000
5,7 5,7 Leser
Ranking: Platz 195
Wir sind das Volk!
Auszeichnungen:2014, Golden Geek Bestes 2-Spieler Spiel Nominierung2014, Golden Geek Bestes Wargame Nominierung

Spielziel

In Wir sind das Volk erleben wir deusch-deutsche Geschichte nach Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Zusammenbruch der DDR noch mal hautnah mit. Doch was für uns heute selbstverständliche Realität geworden ist, kann im Spiel ganz anders ausgehen. Ost gegen West, der Kampf der Systeme bietet zumindest spielerisch die Möglichkeit, den Lauf der Geschichte zu verändern.

Ablauf

In Wir sind das Volk spielen wir 44 Jahre deutsche Teilung, von 1945 bis 1989. Aufgeteilt sind diese Jahre in vier Dekaden, für die es jeweils einen Kartensatz mit wesentlichen Ereignissen des jeweiligen Jahrzehnts gibt.
Für jede Dekade erhalten beide Spieler zwei Handkarten, dazu gibt es eine offene Kartenauslage von sieben Karten plus das Spezialereignis des jeweiligen Jahrzehnts (z. B. den Mauerbau von 1961). Sind die sieben offenen Karten gespielt, werden einmal sieben Karten nachgelegt, danach endet die Dekade, und es erfolgt etwas wie eine Zwischenwertung.

Wir sind das Volk gehört zur Familie der „Card Driven Games“, in denen alle Aktionen und Ereignisse durch das Ausspielen von Karten initiiert werden. Zum Verständnis dieses Spielsystems sei anhand der zwei rechts abgebildeten Karten das Spielsystem kurz erläutert: Jede Karte hat eine erzählerische Komponente, dargestellt im Bild entweder in gelb, rot oder gelb-rot. Mit diesem Ereignis sind fixe Aktionen verknüpft, wobei die Farbe vorgibt, welcher Spieler (gelb West - rot Ost) dieses Ereignis auslösen darf.

Darüber hinaus hat jede Karte noch einen Kartenwert oben links, den man alternativ für andere Aktionen verwenden kann. So darf der Ost-Spieler nicht die berühmte Kennedy-Rede ausspielen, kann diese Karte aber für einen Aktionspunkt verwenden, und verhindert damit, dass die Rede stattfindet. Der West-Spieler wiederum hätte diese Karte als das beschriebene Ereignis spielen können oder aber auch selber die Aktionspunkte der Karte nutzen. Dann fällt die Rede zwar auch aus, stellt ihm dafür aber sogar drei Aktionspunkte zur Verfügung.

Durch diese Doppelnutzung sind alle Karten für beide Spieler nutzbar, wichtige Ereignisse aber trotzdem klar einem Spieler zugeordnet. Starke Karten bringen dabei meist auch viele Aktionspunkte mit (max. 4), wobei sie je nach Karte unterschiedlich sein können, wie hier bei Kennedy. So stellen sich oft spannende Entscheidungen, Ereignis oder Punkte zu verwenden, und lieber eine eigene Karten zu spielen oder eine fremde Karten zu verhindern, wohlmöglich noch mit dem Nachteil kombiniert, dabei selber nicht mal viele Punkte zu erhalten.

Die Aktionspunkte braucht man vornehmlich zum Aufbau seiner Wirtschaft. Fabrikmarker werden auf die Städte gelegt und über Infrastruktur mit anderen Fabriken verbunden. Pro Verbindung erhöht das den Wert der Fabrik, ab drei Punkten darf man dann einen Wohlstandsmarker in das Bundesland legen, ab sechs Punkten zwei Marker usw. Wohlstand beruhigt die (eigene) aufrührerische Bevölkerung, und setzt den schwächer industrialisierten Nachbar ziemlich unter Druck, was mitunter z. B. zum Bau der Berliner Mauer führt, um so dem Bevölkerungsverlust entgegen zu wirken.

Vier Runden dauert der Wettkampf, wobei am Ende jeder Runde ein Kräftvergleich zwischen Ost und West stattfindet, sowie noch einige weitere „Abgleiche“, die in der Regel dem Osten schwer zusetzen. Übersteht der Osten auch das vierte Jahrzehnt, ohne am Ende vier Aufruhrmarker im Spiel zu haben, endet das Spiel mit dem Sieg der DDR. Nur der Aufstand der DDR-Bürger vermag dem Westen zum Sieg verhelfen.

Fazit

Wir sind das Volk ist nicht ein Spiel mit einer Geschichte, Wir sind das Volk ist Geschichte mit einem Spiel dazu, sogar mit sehr lebendiger Geschichte. Die Aktionskarten sind mit bekannten Bildern und Szenen versehen, die vielen wohl aus der Schulzeit bekannt sein dürften. An einige Ereignisse der letzten Dekaden kann sich mancher wohl auch noch selber erinnern, z. B. die Öffnung der ungarischen Grenzen. Thematisch ist Wir sind das Volk für mich über alle Zweifel erhaben.
Doch das allein reicht natürlich nicht aus, auch die spielerische Qualität muss stimmen, und auch da, dass sei vorweggenommen, leistet sich Wir sind das Volk keine Schwäche.

Aufbau der eigenen Wirtschaft steht klar im Mittelpunkt, doch ständig kommt die aufständische Bevölkerung dazwischen, und wertvolle Züge müssen aufgewendet werden, um (regelmäßig in Bayern) die Bevölkerung wieder zu beruhigen, damit man dort endlich etwas Industrie aufbauen kann. Denn nicht nur im Osten, auch im Westen ist in den ersten Dekaden noch einiges an revolutionärer Stimmung aktiv, die den Aufstieg der BRD wirkungsvoll bremst.

Während der Ost-Spieler mit überzeugten Sozialisten und der Stasi recht wirkungsvolle Mittel in der Hand hat, um Aufstände sofort zu beseitigen, braucht der Westen hier meist mehr Züge und Ressourcen, um wieder Ordnung herzustellen.

Doch auch der Ost-Spieler hat nicht viel zu lachen. Besonders in der Zwischenphase während zwei Dekaden geht es ihm ziemlich an den Kragen. Republikflucht, Stasi und fehlender Wohlstand sorgen für Abwanderung. Damit einher geht der Verlust der mühsam aufgebauten Infrastruktur. Der Wohlstand muss mit teuren Devisen finanziert werden, das zum Raubbau an der eigenen Infrastruktur führt, Fabriken werden marode, die Wirtschaft weiter geschwächt.
Steigender Wohlstand im Westen, bei meist stagnierendem Wohlstand im Osten sorgt im Verlauf des Spiels für immer mehr Unruhe in der Bevölkerung, die sich immer schwieriger beruhigen lässt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Spielgefühl. Während der Westen sich eher „gemütlich“ spielt, viel Aufbau, kaum Abbau, ist das Spielgefühl für den Osten wesentlich beklemmender. Ständiger Verlust, und immer die Frage, wo tut der nächste Abbau am wenigsten weh?

Doch wirklich schlecht geht es dem Osten trotz aller Rückschläge nicht. Vor allem, weil für ihn das Spielziel ja nur „durchhalten“ heißt - und dieses Ziel durchaus erreichbar ist. Letztlich muss der Westen sehr aktiv auf den Zusammenbruch des Ostens spielen, wenn er gewinnen will. Wer nur auf seine eigene Wirtschaft schaut, hat am Ende ein sehr stabiles Nachbarland.

Und damit komme ich zum (einzigen) kleinen Minuspunkt am Spiel: die Ausgeglichenheit. Sicher sind asymmetrische Spiele schwierig zu balancieren, und vielleicht hab auch ich einfach noch nicht die richtige Strategie entdeckt. Nach meiner bisherigen Spielerfahrung ist es für den Westen extrem schwierig zu gewinnen, vielleicht etwas zu schwierig?

Ansonsten bin ich sehr begeistert! Nach der ersten Partie, die gerne 180 bis 200 Minuten dauert, kommt man ab der zweiten Partie gut auf 2 bis 2,5 Stunden Spieldauer, die durchweg spannend und unterhaltsam sind. Das Material ist passend und zweckmässig, und auch die Regel mag die allermeisten Fragen beantworten, ist allerdings mit recht vielen Details und kleinen Spezialregelungen nicht gerade einsteigerfreundlich. Von der Komplexität her richtet sich Wir sind das Volk also eher an geübte Spieler, die es vortrefflich zu unterhalten versteht.

Für mich ein außergewöhnliches Spiel, dass der friedlichen Revolution ein würdiges Denkmal in unserer Spielelandschaft setzt.

Rezension Michael Timpe

Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.

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H@LL9000-Bewertungen

H@LL9000 Wertung Wir sind das Volk!: 5,0 5,0, 1 Bewertung(en)

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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 08.06.16 von Michael Timpe - Geschichte zum nachspielen und erleben. Sehr gelungene Homage an dieses wichtige deutsche Ereigniss.

Leserbewertungen

Leserwertung Wir sind das Volk!: 5,7 5.7, 7 Bewertung(en)

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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 06.08.16 von Jörn
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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 22.08.16 von boastar - Ja das Spiel ist nach den gedruckten Regeln etwas unbalanciert. Darum wurden diese auch angepasst. Die aktuelle Regel findet sich auf der Histogames Seite. Das ist übrigens bei Cosims ein ganz normaler Vorgang. Fast alle Spiele dieser Art haben mitlerweile "Living Rules" die mit der Zeit verfeinert werden. Sei es nur für Errata, oder eben auch mal für ein besseres Balancing.
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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 24.10.16 von Electricday - Thema und Mechanismus greifen perfekt ineinander. Für ein CD(W)-Game super balanciert. Hoher Wiederspielreiz bei wechselnder mehrheitlich offener Kartenauslage. Lediglich zwei geheime Karten in der Hand variieren beträchtlich das Spielgeschehen. Fesselndes Nacherleben der Geschichte der BRD und DDR. Allein der Einstieg etwas anspruchsvoll und inkl. Spieldauer daher Kategorie Vielspielerspiel.
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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 07.03.17 von Scholle
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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 10.02.21 von Synapsus - Hier fühlt man sich wirklich verantwortlich für seinen Staat. Der Kräftevergleich am Dekadenende verlangt etwas Verwaltungsaufwand aber nach ein paar Partien kommt Routine rein. Wir schaffen ein Spiel mittlerweile in 90min. Die Partien können wirklich sehr unterschiedlich ablaufen. Tolles Spiel mit viel historischem Flair.
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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 22.10.23 von Everest - Bei dieser Simulation gibt es fast keine räumliche Bewegung und auch keine wechselnden Mehrheiten in Gebieten. Hier geht es um Konkurrenz, ausgehend von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen; und das ist hervorragend umgesetzt.
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Aufmachung Spielbarkeit Interaktion Einfluss Spielreiz 17.02.24 von Chave

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