Spielziel
Also, irgendwie ist das alles an mir vorübergegangen. Ich habe schon gemerkt, dass in manchen Spielen und Filmen eine seltsame Mischung aus futuristischen und viktorianischen Elementen vorkam, dass dies aber eine eigene Stilrichtung darstellt, war mir lange Zeit nicht bewusst. "Steampunk" heißt dieses Phänomen, das als literarische Strömung erstmals in den 1980ern auftrat und sich zu einem eigenen Kunstgenre, einer richtigen Subkultur entwickelt hat. Die Verbindung von dampf- und zahnradbetriebener Mechanik mit viktorianischem Stil ergibt einen sogenannten Retro-Look, quasi eine Sicht auf die Zukunft, wie sie in früheren Zeiten entstanden sein könnte.
Auch Steam Time aus dem Verlag Kosmos Spiele nimmt sich dieses Themas an. Das Spiel versetzt uns in das Jahr 1899, wo wir mit Hilfe von mit Dampf betriebenen und mit den neuesten Wunderapparaten ausgestatteten Luftschiffen Zeitphänomene um mystische Monumente aus vergangenen Zeiten wie Stonehenge oder die Pyramiden untersuchen.
Ablauf
Jeder Spieler verfügt darum auch über eine eigene Luftschifftafel, welche verschiedene Generatoren zeigt. Zusätzlich gibt es bestimmte Bereiche, in denen die 3 Luftschiffe (Hangar) und die Münzen (Tresor) aufbewahrt werden sowie Anlegemöglichkeiten für Upgrades und diverse Karten. Die Generatoren stellen die Leistung der eigenen Luftschiffe dar, welche durch die Anzahl der farblich passenden Kristalle definiert wird. Anfangs wird jede Luftschifftafel mit ein paar Kristallen, Münzen und etwas Steam ausgestattet.
Die Ziele der Expeditionen sind die eingangs erwähnten Monumente, welche auf sechs Monumenttafeln vorkommen. Jede Monumenttafel bietet eine Auswahl von sechs verschiedenen möglichen Aktionen. Je nach Spielerzahl sind auf jeder Tafel drei bis fünf Aktionsfelder abgebildet. Zu Beginn werden die Tafeln in zufälliger Reihenfolge an den Spielplan angelegt und mit entsprechenden Karten, Kristallen und Upgrades bestückt.
Wer an der Reihe ist, setzt eines seiner Luftschiffe auf ein freies Aktionsfeld einer Monumenttafel. Dabei muss auf jeden Fall der "Zeitstrom" eingehalten werden. Soll heißen: Hat er bereits 1 Luftschiff eingesetzt, muss er sein nächstes Luftschiff mindestens 1 Monumenttafel weiter oben einsetzen! Danach führt er die entsprechende Aktion aus.
Folgende Aktionen sind möglich: Der Spieler nimmt einen Auftrag, welche sein Ansehen bei Spielende bei Abgabe der darauf angegebenen Ressourcen erhöht. Bei einer Begegnung zieht er Begegnungskarten und führt eine davon aus, welche ihm (und manchmal auch seinen Mitspielern) gewisse Vorteile bringt. Der Spieler kann in einer Lagerstätte Kristalle für je 2 Gold kaufen und in die farblich passenden Generatoren seiner Tafel legen.
Mit einem Upgrade mit Kosten in Form von entsprechenden Kristallen erhält er sofort und später in jeder Einkommensphase das darauf vermerkte Einkommen. Mit Gold kann er seinen Goldbestand im Tresor aufstocken. Und bei einer Expedition bekommt er die auf der Karte angeführten Belohnungen.
Kristalle sind überhaupt das Alpha und Omega des Spiels. Nachdem man selten alles bekommt, was man will, sollte man sich auf bestimmte Farben spezialisieren, um möglichst viel vom entsprechenden Bonus zu profitieren. Die farblosen T.I.M.E.-Kristalle stellen dabei eine Besonderheit dar. Sie können nicht in Lagerstätten erworben, sondern müssen auf andere Weise angeschafft werden, können dafür aber beliebig eingesetzt werden. Mit Steam kann man bei Engpässen in bestimmten Kristallfarben Abhilfe schaffen. Steam fungiert als eine Art "Kristallwechsler".
Fast genauso wichtig ist der Bonus. Jede Aktion ist farblich an einen Generator gekoppelt. Je mehr farblich passende Kristalle ein Spieler nach seiner Aktion noch besitzt, umso mehr kann er vom entsprechenden Bonus profitieren.
Nach fünf Zeitreisen, die sich jeweils in eine Einkommensphase, eine Aktionsphase und eine Nachschubphase gliedern, endet das Spiel. Nun können alle Spieler noch ihre gesammelten Aufträge erfüllen, um ihr Ansehen zu steigern. Wer schlussendlich das höchste Ansehen genießt, gewinnt und ist der gefeierte Captain von Steam Time.
Fazit
Wie der Leser unschwer aus diesen Zeilen herauslesen wird, ist Steam Time ein typischer Vertreter der Worker Placement Games. Allerdings gibt es im Gegensatz zu den meisten Arbeitereinsetzspielen neben limitierten Einsetzgebieten eine zusätzliche Einschränkung. Es geht nicht nur darum, freie Aktionsfelder zu nutzen, was schon mal die Berücksichtigung der Optionen der Mitspieler beinhaltet.
Nein, hier gilt es auch einen Zeitstrom zu beachten, was die Auswahl stark reduziert. Dem richtigen Timing kommt daher eine wichtige Rolle zu. Es gilt abzuwägen, wo und wann man seine Luftschiffe einsetzt, um einerseits benötigte Aktionsfelder noch vor den Mitspielern zu nutzen, andererseits auch noch für spätere Spielzüge akzeptable Optionen vorzufinden. In dieser Hinsicht weist Steam Time gewisse Ähnlichkeiten zu Egizia auf, bei dem ebenfalls eine Flussrichtung eingehalten werden muss.
Bei Arbeitereinsetzspielen hat der Startspieler naturgemäß einen klaren Vorteil, kann er sich doch als erster auf für ihn wichtige Felder stürzen. Autor Rüdiger Dorn hat deswegen eine weitere Aktionsmöglichkeit eingebaut, welche nur einmal pro Runde genutzt werden kann. Wer auf den Einsatz eines Luftschiffes verzichtet, kann sich stattdessen das Startspielerplättchen nehmen. Er reiht sich sozusagen in dieser Runde in der Reihenfolge nach hinten ein, dafür hat er in der nächsten Runde die volle Auswahl.
Bedingt durch die vielen Möglichkeiten, an die für den Sieg notwendigen Ansehenspunkte zu gelangen, ergeben sich mehrere Strategien. Erfolgversprechend sind zum Beispiel die Auftragskarten, am sinnvollsten gleich kombiniert mit vielen grünen Kristallen, was zusätzliche Ansehenspunkte bringt. Upgrades können nicht nur für ein beständiges Einkommen an Kristallen, Gold und/oder Steam sorgen, sondern auch einen stetigen Zuwachs an Ansehenspunkten. Und Expeditionen gehören sowieso zu den wichtigsten Ansehensquellen, was aber eine höhere Anzahl an gelben Kristallen voraussetzt.
Es gibt noch jede Menge Details, auf die ich allerdings nicht näher eingehen will, um diese Rezension nicht zu überfrachten. Einen interessanten Aspekt sollte ich aber unbedingt noch erwähnen. Jeder Spieler kann - laut Adam Riese - insgesamt 15 Aktionen im Spiel durchführen, in jeder der fünf Runden drei Aktionen. Es gibt jedoch die Möglichkeit, diese Anzahl noch um ein paar Aktionen zu erhöhen. Jedes Mal, wenn der Marker auf dem Zeitportal (bewegt durch den Bonus beim Upgraden oder durch andere Effekte) das Startfeld erreicht oder überschreitet, erhält der Spieler eine Sonderaktion mit dem "T.I.M.E.-Agenten". Mit dieser Figur kann auch ein besetztes Aktionsfeld genutzt werden, sogar entgegen des Zeitstroms! Die Nutzung des T.I.M.E.-Agenten ist fast unabdinglich, will man um den Spielsieg mitreden.
Das Spielmaterial kommt wieder einmal sehr reichhaltig daher: Spielplanteile, Luftschifftafeln, Monumenttafeln, viele Plättchen, Karten in unterschiedlichen Größen, Spielfiguren und Scheiben aus Holz, Kristalle in sieben Farben, sowie ein Stoffbeutel. Die Schachtel ist randvoll, und aller ist von guter, solider Qualität. Mir gefällt die grafische Gestaltung ebenfalls recht gut, allerdings ist der Steampunk dabei nicht sehr ausgeprägt.
Insgesamt ist Steam Time ein schönes Strategiespiel, das durch seinen Abwechslungs- und Variantenreichtum für einen hohen Wiederspielreiz sorgt. Für den anspruchsvollen, verwöhnten Spieler ist es meiner Meinung nach sogar das beste Kosmos-Spiel der letzten Jahre.
Rezension Franky Bayer
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
Regelvarianten
Wem das Ganze bis nicht abwechslungsreich und/oder anspruchsvoll genug ist, kann noch eines oder sogar beide der zwei mitgelieferten Module hinzufügen.
So kann zu Beginn jeder Runde jeder Spieler einen Saboteur auf ein beliebiges Aktionsfeld stellen, um die Nutzung dieses Feldes zu erschweren (jeder Saboteur müsste dazu mit einem farblosen Kristall "bestochen" werden).
Die Spezialisten wiederum bringen dem Spieler bestimmte Vorteile. Ein "Navigator" erlaubt beispielsweise den Zeitstrom zu ignorieren, ein "Abenteurer" gewährt bei einer Expedition eine höhere Belohnung. Allerdings darf jeder Spieler nur jeweils die oberste seiner ausgespielten Spezialisten-Karten nutzen.