Spielziel
Ein Krimikonferenz scheint eine gute Möglichkeit, um sich in diesen kontaktarmen Zeiten mal wieder in größerer Runde zu sehen. Verzichten muss man dabei zwar leider auf die sonst üblichen Menüs und sonstige Verpflegung, dafür hält sich der Aufwand für den „Veranstalter“ aber auch in deutlich geringerem Rahmen. So muss sich halt jeder selbst mit einer Chipstüte versorgen. Damit das Ganze auch organisatorisch gut funktioniert, ist natürlich ein Krimidinner von Vorteil, dass schon online ausgerichtet ist. Kann „Crime Night“ hier überzeugen?
Ablauf
Für die Spielbeschreibung gibt es zwei Aspekte: einmal den organisatorisch-technischen Teil und dann den inhaltlichen Aspekt, auf den ich im Fazit zu sprechen komme.
Aber zuallererst für alle, die das Konzept eines Krimidinners noch nicht kennen, hier die Antwort auf die Frage: Worum geht es überhaupt?
Es geht um den letzten Kiosk der Stadt, das „Späti“. Keine Sehenswürdigkeit, aber das Herz des Quartiers. Ein Stück Lebenskultur und Tradition in dieser Gegend. Hier trifft man sich, unterhält sich und trinkt zusammen.
Doch jetzt hat ein windiger Immobilienhai das Grundstück gekauft, um dort Luxuswohnungen zu errichten. Eine Bürgerinitiative will das verhindern, aber die Zeit wird knapp. Bis heute Abend müssen 20 000 Euro zusammenkommen, sonst ist das Späti verloren. Ein kaum zu bewerkstelligendes Unterfangen möchte man meinen, doch irgendwie kommt das Geld zusammen. Aber nicht alle der anwesenden Gäste verfolgen ganz ehrenhafte Pläne, und kurz darauf geht das Geld in Flammen auf. Wer steckt hinter dieser hinterhältigen Tat?
Bei Aufstand im Späti spielen wir mit 6 bis 8 Spielern eine Art „Improvisationstheater“.
Jeder Spieler erhält im Vorfeld eine Rolle zugeteilt, mit den wichtigsten Informationen zu seiner Person, zum Anlass des Abends und zu seiner Rolle innerhalb der Geschichte. Alle Charaktere verfügen über ein mehr oder weniger „dunkles“ Geheimnis, das in den Augen der Mitspieler ein mögliches Motiv sein könnte.
Anders als bei vielen anderen Krimidinner-Anbietern ist die Hintergrundbeschreibung recht umfangreich. Dafür gibt es dann im Verlauf des Spiels keine weiteren Informationen oder Hinweise mehr. Alle müssen mit den Informationen auskommen, die sie haben, und der Täter ist von Anfang an über seine Untat informiert.
Gemeinsam trifft man sich dann Live oder eben per Videochat. Es wird diskutiert, gerätselt, es werden Anschuldigungen laut, verschiedene Informationen werden zu Geschichten zusammengefügt und am Ende dann hoffentlich der oder die Täter(in) entlarvt.
Wie funktioniert das technisch?
Als „Gastgeber“ des Abends wird man bei Crime Night auf eine geschichtspezifische Webseite geleitet. Dort sind alle 8 Rollen aufgelistet und mit einem Satz beschrieben. Weiter lässt sich bei jeder Rolle ein kurzer Einladungstext aufklappen, der wiederum einen spezifischen Link zur eigentlichen Rollenbeschreibung der Person enthält. Diesen Einladungstext kann man kopieren und an den jeweiligen Mitspieler per Mail schicken.
Weiter sind ein paar kurze Hinweise zum Ablauf und zur Organisation aufgeführt sowie zwei weitere Links, falls man mit weniger als 8 Spieler spielt, welche Rollen man weglassen kann.
Hat man alle Mitspieler entsprechend mit Informationen versorgt, kann es schon fast losgehen, muss man nur noch einen passenden Videochat einrichten.
Fazit
Ich hab inzwischen schon einige Krimidinner gespielt, Aufstand im Späti war aber das erste Mal online, und ich muss sagen, es hat sehr gut geklappt.
Der organisatorische Aufwand zu Beginn war minimal, die Einladungstexte mit dem Link zur Rollenbeschreibung sind gut vorbereitet. Und dass ich kein Essen für 8 Personen kochen musste, konnte ich auch gut verkraften. Auch wenn ich den sozialen Aspekt des gemeinsamen Essens sonst sehr schätze.
Dafür waren meine Mitspieler hervorragend vorbereitet: Mit passender Verkleidung, mit ihrem Rollennahmen angemeldet und noch passendem Hintergrund fand ich es sehr einfach, mich auf die Personen und Rollen einzustellen. Nicht ein einziges Mal wurde aus Versehen der richtige Name verwendet oder musste jemand überlegen „wer warst du noch mal?“. Überhaupt war die ganze Runde sehr konzentriert, ablenkende Gespräche am Rand gibt es so ja nicht. Spieltechnisch ist das sicher ein Vorteil des Onlinespiels.
Inhaltlich stellt Aufstand im Späti die Spieler durchaus vor eine gewisse Herausforderung. Die Rollenbeschreibung ist recht ausführlich und enthält viele Details. Nach einmaligem Lesen hat man noch längst nicht alles zusammen, und mit weiteren Erkenntnissen aus dem Spiel, bekommt manches Detail plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Da bedarf es schon einer recht gründlichen Vorbereitung, damit nicht wichtige Teile im Eifer des Gefechts einfach komplett vergessen werden.
Auch dass vom Spiel her keinerlei „Rahmen“ vorgegeben ist, z. B. keine vorgegebenen Dialoge und keine weiteren Hinweise hinzukommen, sehe ich als eine gewisse Hürde. Die Spieler müssen selbst sehr aktiv werden und ihre Rollen ausfüllen. Viele Details liegen im Ermessen der Spieler. So waren wir uns z. B. lange nicht einig, ob jetzt tatsächlich das ganze Geld verbrannt ist oder allenfalls nur ein Teil? Oder ob es sich sogar komplett um einen Fake handeln könnte? Auch die Angabe eines Spielers, beim Versuch das brennende Geld mit einer Flasche Schnaps zu löschen habe es eine Stichflamme gegeben, und es sei nur noch schneller verbrannt, löste viele Fragen aus. Was war das für ein Schnaps, oder war wohlmöglich gar ein Brandanschlag geplant?
Menschen mit Improvisationstalent oder wer schon das ein oder andere Krimidinner gespielt hat, wird mit diesen Startvoraussetzungen sicher zurecht kommen. Spieler hingegen, die gerne etwas mehr Struktur haben oder etwas Hilfe beim Einstieg brauchen, könnten sich von dem sehr offenen Spiel überfordert fühlen. Auch der Umstand, dass der Täter von Beginn an über seine Tat Bescheid weiß, birgt natürlich immer das Risiko, sich durch eine unbedachte Äußerung zu früh zu offenbaren. Gerade dieser Spieler sollte sich also besonders gut vorbereiten und ein paar Ausflüchte und Ausreden im Vorfeld überlegen
Was die Qualität des Rätsels angeht oder eigentlich der Lösung: Hier erfindet der Verlag das Genre nicht neu. Wie bei vielen anderen Geschichten auch, ist entweder die unwahrscheinlichste Person der oder die Täter(in), oder aber eine Person wird so "überverdächtig" gemacht, dass man davon ausgeht, dass sie es genau deswegen wohl nicht gewesen sein wird. Ohne zu viel verraten zu wollen: So war es auch hier.
Insgesamt haben wir tatsächlich 3 Stunden intensivst gerätselt und diskutiert, am Ende leider ohne zum richtigen Ergebnis zu kommen. Aber anders als in anderen Spielen ist das ja nicht so schlimm, die 3 Stunden haben auf jeden Fall viel Spaß gemacht und waren im Nu vorbei.
Von daher kann ich diesen Onlinekrimi mit den genannten Einschränkungen, was das Kommunikationsvermögen der Mitspieler angeht, auf jeden Fall empfehlen. Die Geschichte fanden wir stimmig, die Charaktere sind abwechslungsreich und haben logische Motive. Wenn man dann noch eine lustige und wortgewandte Gruppe hat, wie in diesem Fall das H@ll9000-Team, dann kann es einfach nur gut werden.
Rezension Michael Timpe
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit der Texte verwenden wir häufig das generische Maskulinum, welches sich zugleich auf weibliche, männliche und andere Geschlechteridentitäten bezieht.
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